Page 17 - Gehaltvoll 7.1
P. 17
Ein Beispiel für Weisheit
Stellt mir jemand zum Beispiel in Je nachdem wird meine Antwort Position besitze, ohne dass ich aus-
der Pause eines Seminars die Fra- anders ausfallen, ohne dabei meine schließe, dass ich sie einmal verän-
ge: „Was denkst du über Eheschei- eigene Position zu verbergen. dern könnte.
dung?“, dann lege ich nicht einfach Und egal, was der Hintergrund der
mit der Kurzfassung meines theolo- Frage ist, möchte ich mit Respekt Und: Ich werde sagen, dass ich mei-
gischen Standpunktes los. vor der einzigartigen Situation mei- ne geäußerte Meinung als begrenzte
nes Gegenübers und mit Wertschät- Anregung verstehe, weil jede Le-
Als erstes werde ich versuchen, mir zung antworten. benssituation einzigartig ist.
ein Bild von der Situation des ande-
ren zu machen: Gleichzeitig werde ich auch anfügen,
Ist er oder sie selbst geschieden oder dass ich selbst mit diesem Thema in
steckt in einer Ehekrise? meinem Umfeld und in der Bera-
Geht es mehr um eine Frage, die die tung wenig Erfahrung habe und dass
eigenen Kinder oder Freunde be- noch einige Fragen für mich offen
trifft, oder ist es ein Pastor, der dar- sind. Wobei ich innerlich schon eine
über predigen soll? überlegte Überzeugung von meiner
Was Freunde von dieser Antwort halten, könnt ihr hier lesen:
„Mir gefällt der Ansatz 'schnell zum „Wenn es so klappt, finde ich das geni- „Zu den ersten Fragen (sich ein Bild
Hören' zu sein. Sich erst ein Bild der al. Also sehr weise. Besonders der Ab- von der Situation machen) fände ich
Zusammenhänge zu machen, die ei- schluss gefällt mir: dass es begrenzt ist noch hilfreich zu erfahren, ob der Be-
genen Grenzen der Erkenntnis wahr- und für jetzt gilt. Diese ganzen Mög- treffende aus einer Scheidungsfamilie
zunehmen und das Gegenüber, den lichkeiten aber, wer mein Gegenüber stammt, d.h. selbst Betroffener war.
Menschen in seiner Einzigartigkeit, zu ist, in so kurzer Zeit zu erfassen, wirkt Dann fände ich es aufschlussreich,
würdigen. Unter diesen Umständen auf mich etwas unrealistisch.“ zunächst zu erfahren, mit welcher Ziel-
hat die Antwort auf die Frage vielleicht (Andreas) richtung er fragt. Und warum wendet
eher einen Erkenntnisgewinn als eine er sich mit der Frage ausgerechnet an
weniger bedachte Äußerung. Finde mich? Weiter: Was denkt er selbst dar-
ich gut." (David) über? Hat er für sich Antworten entwi-
ckelt? So könnten die Ausführungen in
einen noch größeren Rahmen gestellt
werden. Vielleicht entwickelt sich ja
auch eine fruchtbare Diskussion mit
gegenseitiger Horizonterweiterung?
Und schließlich – ja: Unser Erkennen ist
Stückwerk...“ (Renata)
17